«Ich möchte meine Skulpturen die Schwerkraft überwinden lassen und sie in einen Zustand des Schwebens versetzen»
Seit mehreren Jahren setzt sich Akiko Sato intensiv mit dem Thema «Zeit» auseinander und gibt diesem abstrakten Begriff Gestalt, hält flüchtige Erinnerungen in Stein fest und lässt die Betrachter in Form von Skulpturen, Tuschzeichnungen und Radierungen Aspekte von Zeit erfahren. Die Bildhauerin stammt aus Japan, lebt aber seit vielen Jahren in der Schweiz und in Italien. Dennoch bezeichnet sie Japan als ihre geistige und kulturelle Heimat. In ihren Werken gibt die Künstlerin abstrakten Themen wie «der Zeit» Gestalt und sucht nach jenen elementaren Formen, die – losgelöst jeglicher zeitlichen oder geographischen Einschränkungen – die Menschen stets aufs Neue beschäftigt und fasziniert haben.
Der japanische Zenmeister Dogen hat das Leben eines Menschen mit der Überquerung des offenen Ozeans in einem kleinen Schiff verglichen. Das Einssein von Mensch, Schiff und Meer unterstreicht die fragile Balance von Vertrauen und Respekt, die notwendig ist, um sich dem Strom der Zeit anzuvertrauen und mit dem Schiff am Ziel anzukommen. In vielen seiner Schriften erläutert Dogen die grundsätzliche Identität von Existenz und Zeit in der wirklichen Welt. Dabei versteht der Buddhismus die Zeit nicht als ein lineares, chronologisches Konzept, sondern nur als kurzen Augenblick – als gegenwärtige Augenblicklichkeit, losgelöst vom Widerspruch zwischen menschlicher Freiheit und deterministischer Vorbestimmung. Der buddhistische Realismus macht diese gegenwärtige Augenblicklichkeit zum zentralen Angelpunkt des Lebens und der Welt.
Dieser Ansatz ist nicht nur für den Buddhismus typisch, sondern wurde auch von europäischen Philosophen wie zum Beispiel Martin Heidegger in seinem Hauptwerk Sein und Zeit beschrieben. In den Skulpturen und Graphiken von Akiko Sato werden die Elemente Himmel, Erde, Feuer, Wasser und Wind immer wieder thematisiert.
Es stehen jedoch nicht Assoziationen mit konkreten Formen und Objekten im Vordergrund, vielmehr soll die bewusste Offenheit der Werke die Betrachter miteinbeziehen. Vergängliche oder nicht greifbare Wahrnehmungen von Wellen, Flammen, Wolken und Wind werden in Stein oder auf Papier gebannt, ohne dass sie ihren flüchtigen Charakter verlieren. Was bei den Medien Marmor, Onyx und Granit monatelange Arbeit erfordert, verlangt in der Graphik die Konzentration eines Sekundenbruchteils.
So verschieden all diese Materialien auch sein mögen, so finden wir doch dieselben essentiellen Gedanken wieder und spüren die enge Seelenverwandtschaft zwischen Skulptur und Graphik. Die Skulpturen aus Marmor oder Granit strahlen eine Anmut und eine Schwerelosigkeit aus, welche die Betrachter das Gewicht der Steine vergessen lassen. Sie werden zu physisch erfahrbarer Poesie, verharrend in einem Moment schwebenden Gleichgewichtes. «Ich möchte meine Skulpturen die Schwerkraft überwinden lassen und sie in einen Zustand des Schwebens versetzen», sagt Akiko Sato über ihre Werke aus Stein.
Gerade in der heutigen Zeit, in welcher Inhalte immer mehr durch hochentwickelte Technik vermittelt werden, laden Akiko Satos Skulpturen die Betrachter zu einem persönlichen Dialog ein, der nicht nur visuell, sondern auch durch ein aktives Ertasten und Begreifen erfahrbar gemacht wird. Ganz im Gegensatz zu den meisten Begegnungen mit Kunst, bei denen Besucher angehalten sind, die nötige Distanz zu den Werken zu wahren, ist es der ausdrückliche Wunsch der Künstlerin, dass ihre Skulpturen berührt und ertastet werden.